Digitalisierung? „Du bist der Fluss, nicht das Floß!“

2018-03-06
Andreas

Auch wenn es schon etwas älter ist, so habe ich das Hip-Hop-Projekt „Shaban feat. Käptn Peng“ erst kürzlich entdeckt. Der verlorene Verstand im Song OHA [1] hat meiner Meinung nach das Zeug für eine Hymne der vierten industriellen Revolution …

Für uns (ich zähle mich mal frech dazu) IT-Experten klingt es immer merkwürdig, wenn wir im Jahr 2018 über Herausforderungen der Digitalisierung sprechen – vieles hat für uns doch schon vor zwanzig, dreißig Jahren stattgefunden. Waren es bisher technische Systeme, die es zu optimieren galt, so wirken diese Systeme nun auf die Gesellschaft. Das wirft viele grundlegende Fragen auf. Eine davon ist zum Beispiel: Was bedeutet das für unsere Jobs? Und die stand schon bei den letzten industriellen Revolutionen im Zentrum. Es kann ja nicht das Ziel sein, wieder einfach nur Arbeit von der einen auf die andere Seite zu schieben. Ein sinnvolles Ziel muss doch so etwas wie „weniger Arbeit bei mehr Lebensqualität“ sein. So ein Ziel erfordert aber neue Denkansätze, andere Modelle als die klassischen.

Open Source ist so ein Modell – sogar eines, das sich bewiesen hat.

Im Gegensatz zu Software wie zum Beispiel MS Office ist bei Open-Source-Programmen der Quellcode, der alle Funktionen der Software offenbart, frei einsehbar. Damit kann jeder eine Software nachbauen oder kostenfrei betreiben. Dennoch verdienen Unternehmen Geld mit Open Source Software. Nicht weniger als die Infrastrukturen aller großen, erfolgreichen IT-Konzerne wie Google, Facebook oder Amazon fußen auf Open-Source-Software. Wie unkalkulierbar wären in deren Wachstumsprozessen CPU-basierte Lizenzierungen der Datenbanken gewesen? Ohne die frei verfügbaren Basiskomponenten ihrer Plattformen wäre ein derartiges Wachstum undenkbar. Der eben andere Denkansatz von Open Source ist: „Nutze alles was Du brauchst, gib‘ Deine Änderungen aber an alle zurück.“ – die Freiheit im Wachstumsprozess haben diese Unternehmen mit der Verbesserung der genutzten Software bezahlt.

Open Source macht natürlich nicht nur die Großen groß und größer. Neben der Innovationsfähigkeit ist Vertrauen ein zweiter großer Wert hinter Open Source. Gerade in kritischen Infrastrukturen ist es eine Notwendigkeit sicherzustellen, dass Software nicht mehr macht, als das was sie soll. Beispiele wie Windows 10 [2] oder der Vorwurf des amerikanischen Präsidenten an Kaspersky, dass deren Software spionieren würde [3][4] zeigen, wie wichtig die Überprüfbarkeit des Quellcodes ist. Dies gilt für die freie Wirtschaft, aber auch für die Politik und die Verwaltung. Wie soll vor allem letztere sonst überhaupt in der Lage sein, den Bürgerinnen und Bürgern „vollständige Transparenz und Kontrolle“ über ihre persönliche Daten zu gewährleisten?

Der Preis für die Freiheit und das Vertrauen ist kein niedriger: Der Einsatz von Open Source Software fordert das Übernehmen von Verantwortung. Und das ist ein großes Problem, welches sich unsagbar bequem in die Sessel vieler IT-Entscheider gesetzt hat: Mit dem Kauf von „Standards“ wird Verantwortung delegiert. Wenn man das hat, was alle haben, dann macht man nichts falsch. Mit dieser erkauften, vermeintlichen Absicherung kommt aber eine Gleichschaltung aller und das auch noch allzu oft auf Plattformen, die niemand unter Kontrolle hat außer dem Hersteller selbst – ein blindes Vertrauen, das in Abhängigkeiten führt. Das kann nicht die Digitalisierung sein, die uns in eine Zukunft mit weniger Arbeit und mehr Lebensqualität führt. 

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung kommt das Wort „Digitalisierung“ erfreulich häufig vor. Doch an kaum einer Stelle ist es mehr als seinem Selbstzweck überlassen. Um die Zugkraft des Digitalisierungsprozesses zu nutzen und gleichzeitig Antworten auf die durch diesen Prozess aufgeworfenen, dringenden Fragen zu finden, ist ein Andersdenken zwingend erforderlich. Neue Wertemodelle, wie Open Source eines ist, müssen gefunden und etabliert werden. Manchmal ist es einfach nur das logisch Richtige, das wieder über den gewachsenen Fakt gestellt werden muss, siehe mein Beitrag: Lokales ausglobalisiert. Bei der Digitalisierung geht es nicht einfach um IT. Die IT ist ein Werkzeug und die Digitaliserung eine Chance. Sie wird genau dann ein Gewinn für alle sein, wenn wir es schaffen, konventionelle Denkmodelle zu verlassen und mit neuen Ansätzen etwas Neues zu erschaffen.

Ich sehe Open Source Software übrigens nicht nur als einen wichtigen Baustein, sondern eher noch als ein gutes und lebendes Beispiel dafür, dass unkonventionelle Ansätze sehr gut funktionieren. Dieser eine Baustein allein löst das Problem natürlich nicht … und dann erzählt mir wieder jemand, dass es ohne Outlook und Excel nicht geht. Und in meinem Gehirn läuft der Song ab: „… also Stützräder ab und Leinen los. Du bist der Fluss, nicht das Floß!“

[1] https://www.youtube.com/watch?v=66acVU1LDKM
[2] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Behoerden-ignorieren-Sicherheitsbedenken-gegenueber-Windows-10-3971133.html
[3] https://www.golem.de/news/neues-us-gesetz-trump-verbannt-kaspersky-endgueltig-von-regierungscomputern-1712-131640.html
[4] https://thehackernews.com/2017/10/kaspersky-antivirus-source-code.html