„Ihr Beschaffungsvermerk muss der Beschwerde eines unterlegenen Konkurrenzanbieters, der tief im Thema steht, standhalten können“, mahnte der Vorsitzende der Vergabekammer Südbayern Matthias Steck das Publikum auf dem IT-Vergabetag 2018 in Berlin … Aber die „Abteilung für Beschaffung“ ist mehr als nur der Wächter des Beschaffungsvermerks in heiliger Mission. Die Beschwerde eines Konkurrenzanbieters ist ja nicht mehr als ein Symptom der unfairen Verteilung von Steuergeldern auf dem freien Markt. Ich frage mich schon länger – und auch immer noch – ob die Vergabeexperten der Digitalisierung gewachsen sind oder schlimmer noch: Ihr überhaupt gewachsen sein können.
Darum bin ich als Vertreter von Kopano und der Open Source Business Alliance (OSBA) nach Berlin gefahren, um am IT-Vergabetag, der Konferenz zum Thema Beschaffung in der IT, teilzunehmen. Als Vertriebsmensch kenne ich ja meine Seite der Gespräche. Hier konnte ich mir einen Eindruck von „der anderen Seite“ machen. Und ich stellte viel Rat- und Hilflosigkeit fest. Die Rechtsanwältin Aline Fritz brachte es in ihrem Vortrag über die „Möglichkeiten einer produktspezifischen Ausschreibungen von IT-Leistungen“, also der konkreten Beschaffung des Produktes X ohne Beachtung anderer Anbieter, auf den Punkt: Das geht so nicht. Es sei denn, man beschafft eine Kampfdrohne, die dringend für einen Krieg benötigt wird (Das war wirklich das Beispiel) oder was von Microsoft, da sei das ja allgemein akzeptiert.
Was?!
Hier fragte ich mal vorsichtig nach: Warum sei das denn allgemein akzeptiert? Das wird überall genutzt und das Land profitiert davon, dass hier die Beschaffung einfacher gemacht wird. Dann fragte ich konkret:
Wenn eine Behörde unseren Kopano Server haben möchte, kann sie diesen dann konkret als „Kopano“ nur unter unseren Vertriebspartnern ausschreiben?
Es folgte ein Schweigen bei der Frau Fritz, dem Herrn Steck und auch im Publikum. Das ist ein ziemlich blöder Punkt.
Es gibt einen Konditionenvertrag [1] zwischen dem Bundesministerium des Inneren (BMI) und Microsoft, welcher speziell auf die Bedürfnisse der öffentlichen Verwaltungen zugeschnitten ist. Konditionenverträge sind nicht unüblich, aber auch nicht unumstritten. Eigentlich regeln sie – wie der Name schon sagt – Konditionen, greifen aber nicht in den Wettbewerb ein.
Der Konditionenvertrag mit Microsoft enthält jedoch nicht (nur?) attraktive Konditionen, sondern er vereinfacht in erster Linie die Beschaffung, indem der Wettbewerb von der Produktebene auf die Anbieterebene verschoben wird. Microsoft ist ein – wenn auch ein übermäßig dominant vertretener – Anbieter von Software. Es gibt auch andere Software, die dieselben Aufgaben erfüllt wie Microsoft-Software. Wenn aber nicht mehr die Beschaffung einer Textverarbeitungssoftware oder einer Groupware ausgeschrieben wird, sondern der Kauf von Lizenzen für Microsoft Word oder Microsoft Outlook, dann kann diese andere Software gar nicht so recht angeboten werden.
Rahmenverträge sind ein Konstrukt, welches schon eher in den Wettbewerb eingreift. In definierten Rahmen und Mengen ermöglichen sie den vereinfachten Einkauf. Darum müssen diese auch ganz besonders ausgeschrieben werden und haben auch nur eine beschränkte Gültigkeit. Das Kaufhaus des Bundes (KdB) [2] ist eine Plattform, der solche Rahmenverträge zugrunde liegen. Behörden und Einrichtungen des Bundes können sich hier rechtssicher und einfach ihren Warenkorb (auch mit Software) zusammenklicken und einkaufen. Aber wurden die dort gelisteten Produkte (in meinem Fall konkret Microsoft Exchange und Microsoft Office, aber auch zum Beispiel Microsoft Windows 10) produktneutral ausgeschrieben oder leitete sich deren Beschaffung aus dem Konditionenvertrag ab?
Es entsteht ein Selbstverständnis über die Software eines einzelnen Anbieters, ein beschaffungsrechtlich mindestens toleriertes Markenbewusstsein. Das was bei der Beschaffung von Dienstfahrzeugen undenkbar ist, ist hier die gelebte und in Verträge gegossene Realität: Es werden nur noch VWs gekauft oder eben das, was zertifizierte VW-Händler sonst noch so anbieten. Würden sich BMW und Daimler das gefallen lassen?
Auf diese Frage bekam ich schon einmal die Antwort: „Naja: BMW, Daimler und Kopano – das ist ja schon ein Unterschied.“ – Ist es das, wenn wir die Digitalisierung voran treiben wollen? Sollte man wirklich die neu entstehenden, noch kleinen Anbieter per se ausklammern, wenn man nach innovativen, neuen Lösungen sucht? Natürlich nicht. Aber „Microsoft ist nun mal Standard“ …Microsoft Windows 10
Im Februar dieses Jahres wurde Ines Fiedler vom Tagesspiegel interviewt [3]. Frau Fiedler ist Chefin des IT-Dienstleistungszentrums (ITDZ), einem der großen landeseigenen IT-Dienstleister. Es gibt einige solcher landeseigenen IT-Dienstleister (Dataport, IT.Niedersachsen, BITBW, …) und ähnliche Konstrukte auf Bundesebene (ITDZBund) oder auch Kommunalebene. Diese IT-Dienstleister vereint die Aufgabe, IT zu vereinheitlichen, zentral zu verwalten und damit Kosten zu sparen. Das geht nur mit Standards – und zwar sowohl solchen, die Standard sind als auch denen, die den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Ein Zitat von Frau Fiedler aus dem erwähnten Artikel fasst das die „Microsoft ist Standard“-Denke besser zusammen als ich es erklären könnte:
… Kein Outlook. Kein Active Directory. Korrekt müsste es heißen: Kein MICROSOFT Outlook kein MICROSOFT Active Directory. Übersetzt heißt es dann, dass es noch Behörden gibt, die kein Microsoft-Kunde sind. Dieser landeseigene IT-Dienstleister sieht es als seine Pflicht, auch diese zu Kunden von Microsoft zu machen. Und alle anderen machen das auch. Das klingt so abstrus … Aber es ist die Realität. Und mit wem auch immer ich rede, es wird als „normal“ und „Industriestandard“ gesehen. Auch höre ich sehr, dass es ja keine Alternativen gäbe. Dabei ist das Active Directory einer von vielen Verzeichnisdiensten [4] und Outlook eines von vielen E-Mail-Programmen [5].
Das Problem ist nicht (nur) Microsoft als Software-Anbieter. Die haben ihren Markt in den letzten Jahrzehnten gut aufgebaut und machen das, was ein Konzern so macht: Wachsen, wachsen, wachsen. Das größte Problem sind diejenigen, die sich über die Beschaffung ihrer IT keine Gedanken machen, nicht an Abhängigkeiten denken und vor allem innovativen und neuen Lösungen keine Chance geben wollen, ja fast schon Angst vor dem Neuen haben. Genau hier können die Abteilungen für Beschaffung lenkend einwirken. Dafür benötigen sie aber Gesetze, die ihnen die Grundlage dafür geben. Schleswig-Holstein [6] und Thüringen [7] sind erste und gute Schritte gegangen, um dies zu ermöglichen. Es bleibt nur zu hoffen, dass diese nicht wieder an der Stupidität Einzelner scheitern, wie es in München passiert ist.
In meinem Artikel Outlook – der Dieselmotor der Digitalisierung führe ich sechs Punkte auf, die nicht nur für die Beschaffung von E-Mailprogrammen sondern auf hier gelten.
[1] https://www.cio.bund.de/Web/DE/IT-Beschaffung/MS-Konditionenvertraege/konditionenvertraege_node.html
[2] http://www.kdb.bund.de/KdB/DE/Startseite/home_node.html
[3] https://www.tagesspiegel.de/berlin/digitalisierung-der-berliner-verwaltung-der-aufholbedarf-ist-ueberall-riesengross/20958488.html
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Verzeichnisdienst
[5] https://en.wikipedia.org/wiki/Comparison_of_email_clients
[6] https://osb-alliance.de/news/pressemitteilungen/osb-alliance-begruesst-wegweisende-digitalpolitische-vereinbarung-der-regierungskoalition-in-schleswig-holstein
[7] https://osb-alliance.de/blog/thueringen-oeffnet-die-tuer-fuer-open-source